Freitag, 4. September 2020

Steil nach Norden (zum Scheitelpunkt)



Heute ist glücklicherweise (oder auch leider) der letzte Tag, an dem ich mir einen möglichst gezwungen-kreativen Titel als Umschreibung für "Wir fahren nach Norden" ausdenken muss. Wir sind nämlich jetzt am nördlichsten - und damit Scheitelpunkt unserer Reise angekommen. Auf unserer Fahrt von Sundsvall nach Sollefteå haben wir auch eigentlich nur einen längeren Stop im Nationalpark Skuleskogens geplant. Nach etwa anderthalb Stunden Fahrt, unter anderem über die tolle Hängebrücke Högarkustenbron

erreichen wir den Parkplatz am Südeingang, wo offenbar auch gerade eine Verpflegungsstation für einen Trailrunning-Wettbewerb aufgebaut wird. Dazu später mehr.

Wir machen das, was wir immer tun, und suchen uns an der Wanderkarte eine Route aus. Wir entscheiden uns für den orangenen Aufstieg zum Slåttdalsskrevan, einer Schlucht. Da es sehr nass ist, haben wir den etwas flacheren Anstieg gewählt, um dann später zu entscheiden, ob wir noch die blau markierte, steilere Schleife zum Aussichtspunkt laufen. Der Weg beginnt recht harmlos, mit den inzwischen gut bekannten Holzplanken.
Nach kurzer Strecke kommen wir an einem kleinen, idyllischen Wasserfall vorbei.
Generell ist es sehr idyllisch hier, sehr grün, kleine Gewässer mit großen Farnen und viel Wald, Steinen und Wurzeln.
Besonders beeindruckend sind die riesigen Kiesfelder mit Steinen, die vom Meer abgerundet wurden, als das Gebiet noch auf dem heute etwa 250 Höhenmeter tiefer liegenden Meeresboden lag. Durch den Rückzug der eiszeitlichen Gletscher und das dadurch fehlende Gewicht hebt sich die Landmasse bis heute.

Ebenso beeindruckend und vor allem beschwerlich ist die Tatsache, dass sich die Steine auch überall auf dem aktuellen Wegabschnitt befinden.


Die Markierungen sind im Übrigen für die Trailrunner, die offenbar durch dieses glitschige Gelände auch noch rennen. Wir geben uns kurz der Illusion hin, nach dem Geröllfeld das gröbste geschafft zu haben und genießen die Aussicht und den weiteren Weg durch schöne, grüne, sumpfige Wiesen.



Die Illusion endet jäh an einem steinigen Steilhang. Ein wahrer Traum, bei feuchtem Wetter dort hinaufzusteigen.

Irgendwo dort oben muss unser Ziel, die Schlucht die wir erwandern wollen, sein. Also kämpfen wir uns weiter nach oben und fragen uns gleichzeitig, ob es einen angenehmeren Abstieg gibt.
Der Aufstieg hat sich gelohnt, der Blick in die Schlucht ist wirklich beeindruckend. Eher erschreckend ist die Tatsache, dass die Trailrunner die Schlucht durchqueren und dann einen noch gewagteren Weg bergauf zum Aussichtspunkt (man erinnere sich, die blaue Route) laufend bewältigen.
Da wir weder auf schmalem, steinigen Untergrund ständig den Läufern ausweichen wollen, noch bei feuchtem Wetter einen noch abenteuerlicheren Abstieg wagen wollen, kämpfen wir uns unseren Aufstiegsweg wieder zurück, nicht ohne noch ein Foto vom eingeklemmten Felsen über dem Schluchteingang zu machen.

Der Abstieg ist nicht ganz so schlimm, wie befürchtet, dennoch sind wir froh, diesen steilen felsigen Teil hinter uns zu haben.


Beim Anblick der idyllischen Feuchtwiesen macht sich dennoch eine gewisse Erleichterung breit, wohl wissend, dass uns auch das Geröllfeld noch bevorsteht.
Noch dazu müssen wir immer wieder den in halsbrecherischer Geschwindigkeit den Berg hinablaufenden Trailrunnern ausweichen, die zwischenzeitlich vom "blauen" Aussichtspunkt wieder auf unseren Weg gestoßen sind. Zwischendurch findet sich aber noch Zeit, einen schön mit Wassertropfen dekorierten Pilz zu fotografieren. Pilze gibt es hier ohnehin in rauhen Mengen, kein Wunder, so feucht wie es hier ist.

Auch ein wunderschöner, blauer Käfer kreuzt unseren Weg, während die Trailrunner inzwischen zum Glück auf eine andere Strecke abgebogen sind.

Zwischenzeitlich hat frau noch die Muße für eine kleine, künstlerisch wertvolle Stunt-Einlage, bei der sie elegant auf einer glatten Holzplanke ausgleitet und mehr oder minder sanft auf ihren praktischerweise am hinteren Ende integrierten Polsterungen landet. Halb so wild, wir setzen den Weg eben jetzt mit einer etwas dreckigeren Hose fort. War irgendwie absehbar, nachdem ich heute morgen eine frische Trekkinghose angezogen habe. Kurz vor dem Parkplatz haben wir noch einen schönen Ausblick auf das Meer, von dem wir uns heute allerdings verabschieden werden, um nach Nordwesten weiterzufahren.
Die Rückfahrt zur E4 gestaltet sich ebenfalls abenteuerlich, irgendwer hatte die glorreiche Idee, die Laufstrecke vom Trailrun hier über die Zufahrtstraße des Nationalparks zu führen. Wir fahren also Salom um die Läufer, und als ob das nicht genug wäre, danach noch Slalom um einen in den Graben gekippten Reisebus. Kurz vor der E4 verabschieden wir uns endgültig vom Meer, zumindest bis wir es in Dänemark auf der Heimreise noch einmal wiedersehen werden. Netterweise kommt hier auch nochmal richtig fotogen die Sonne raus.
Hier nutze ich noch die Gelegenheit für das bei unseren Rundreisen obligatorische "Mietwagenfoto", mit dem Unterschied, dass es diesmal mein eigenes Auto ist, das ich nach der Reise auch weiterhin behalten darf. Heißt aber auch, ich muss es diesmal danach selber säubern. Alles hat seinen Preis.
Auf unserer Weiterfahrt nach Sollefteå machen wir noch einen kurzen Halt in Schwedens einziger Single Malt Brennerei. Leider ist hier eine geschlossene Gesellschaft und ich kann mir keinen schwedische Whisky als Urlaubssouvenir gönnen.
Nach kurzer Weiterfahrt kommen wir im Hotel Hallstaberget in Sollefteå an. Das Zimmer ist klein, aber schön und wieder mit toller Aussicht. Außerdem wohnt hier ein flauschiger Teddybär, den ich allerdings erst einmal verarzten muss, als ich beim Kennenlernen eine aufgeplatzte Naht am Bein entdecke.


Zufriedener, geflickter Teddybär nebst dekorativer Krake.

Schöne Lichtstimmung

Zum Abendessen gehen wir in das dem Hotel angeschlossene Restaurant, das ebenfalls eine großartige Aussicht hätte, wäre es nicht zwischenzeitlich nach 20 Uhr und würde die Sonne hier nicht schon um 19:50 untergehen. Dafür nimmt das Restaurant im Gegensatz zu dem im Hotel in Sundsvall die Abstandsrichtlinien gegen Corona ernst und besetzt die Tische nur versetzt zueinander und mit einem freien Tisch dazwischen. Sehr erfreulich für das zwischenzeitlich recht frustrierte hausinterne Risk-Assessment. Frau hat heute ihren experimentierfreudigen und macht gleich doppelten schwedischen Kulturguttest. Das "Merke" wird laut unserem Kellner hier in Sollefteå gebraut, und er versichert mir, es würde auch wirklich nur nach Bier und nicht nach Obst schmecken.
Er hat tatsächlich recht, es ist einfach nur Bier, und gar nicht mal unlecker. Damit der Kulturguttest nicht langweilig wird, bestellt sich frau die vier Surströmming Canapés als Vorspeise dazu.

Sieht nett aus, allerdings handelt es sich bei Surströmming um fermentierten Hering, der mit Hilfe von Milchsäuregärung einen strengen Eigengeschmack erhält. Sicher nicht jedermanns Sache, aber wir sind angenehm überrascht. Wir mögen allerdings auch strengen Käse und geschmacklich bewegen wir uns doch sehr in diese Richtung. Die Kombinationen sind allesamt interessant, mit Blutorange, Tomate, Preielbeere und Zwiebeln, allesamt auf saurer Sahne, Pellkartoffel und Knäckebrot. Vom isländischen Hárkal lassen wir dennoch auch zukünftig die Finger. Der Gatte hatte ein weniger spektakuläres aber dennoch leckeres Krabbenbrot als Vorspeise.

Mit der Hauptspeise machen wir es uns recht einfach, der Gatte nimmt das Lammfilet

und ich Fish and Chips. Beides ebenfalls sehr gut.

Da hier ja auch die hausinterne COVID-Risk-Assessment-Abteilung zufrieden gestellt wird, planen wir, auch morgen wieder hier zu essen. Zurück im Zimmer wird nochmal kurz der nächtliche Ausblick dokumentiert:
und die schweren Knochen zur Ruhe gebettet.

Gefahren sind wir heute 220 km, gelaufen nervenaufreibende 7,5 km (die App wurde etwas später als beim Losgehen gestartet).


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